Weihnachten

Als Gabi Lisas Operation vom 20.12.auf den 3. Januar verschob, da es sich bei Lisas Blutung nun doch um eine Läufigkeit handelte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Es fühlte sich an wie eine Gnadenfrist, die uns geschenkt worden war. Entsprechend leichten Herzens beging ich die Sonnenwende. Ein kleines Feuerchen in meinem Grilleimer, mehr war es nicht, und irgendwie fühlte es ich dort unten im Süden merkwürdig an, Wintersonnenwende zu feiern, immerhin war der Winter dort mild, aber es gehörte für mich einfach dazu. Und wer feiert schon Sonnenwende am Meer?

Wir machten eine kleine Rundreise. Zuerst besuchten wir noch einmal Mattes und verbrachten einen schönen Nachmittag an der alten Festung. Für die Nacht stellte ich mich an den Strand, an dem ich mich vor vier und fünf Jahren überwiegend aufgehalten hatte; inzwischen jedoch war das Freistehen so gut wie unmöglich gemacht worden. Ein Parkplatz war gebaut worden, die schöneren Stellen waren nicht mehr zugänglich für meinen Bus, und die ehemals malerische Bucht hatte durch die Eingriffe ihren Zauber verloren.

Es war der Freitag vor Heiligabend, und ich hatte die grandiose Idee, in Lagos einkaufen zu gehen, bevor ich mich zu Rudi begab, bei dem ich damals drei Monate gewwooft hatte und beinahe hängen geblieben wäre. Es war Streß pur. Menschenmassen. Autos. Kilometerlange Schlangen vor den Kassen. Leergekaufte Regale. Noch nicht einmal glückliches Hühnchen für Lisa gab es noch! Ich zauderte, überlegte, grübelte, dachte an Lisa, deren OP bevorstand, und dann packte ich mit schlechtem Gewissen ein armes Masthühnchen ein. Was mir vorher schon aufgefallen war: In Schweden sind die Masthühnchen die dicken Dinger, und die Biohühnchen sind mager. In Portugal ist es genau umgekehrt. Ich kaufte also ein dünnes, unglückliches Huhn und stellte dann auch noch fest, daß es beim Kochen ganz widerlich roch. Nie wieder unglückliches Huhn, das nahm ich mir fest vor!

Ich quälte mich gerade durch den Verkehr, als ich auf einem Parkplatz  den Bus von Ralph sah, dem Schweden vom Sturmparkplatz. Er winkte wie ein Wilder, ich winkte zurück und bog ab. Und es kam,wie es kommen mußte: Wir redeten und plauderten, und als ich endlich loskam, war es viel später, als geplant. 

Das letzte Mal hatte ich meine Motorsäge am Strand ausgepackt und mir Feuerholz gesägt, aber es war viel angenehmer, die Wiese bei Rudi dazu zu benutzen. Hier konnte ich niemanden stören! Ich füllte also meinen Vorrat an Feuerholz auf und verbrachte einen schönen Nachmittag auf meinem ehemaligen Wwoof- Hof. Damals waren bei der Pizzaparty etwa fünfzig Besucher gewesen. Da Rudi für diesen Abend etwa fünfhundert Gäste erwartete, flüchtete ich, als die ersten von ihnen bereits am späten Nachmittag eintrudelten. Das war mir dann doch eine Nummer zu groß! Ich fuhr an meinen Strand- und verbrachte zum ersten Mal die Nacht ganz allein dort. Kein anderer Bus stand dort. Es war ein etwas merkwürdiges Gefühl, das mußte ich ja zugeben.

Als ich am nächsten Vormittag vom Biodinkelsauerteigbrotkaufen zurück kam, wurde ich von einem deutschen Pärchen angesprochen, das in Portugal wohnte. Sie benötigten Überbrückungshilfe für ihren Wagen. Als ich die Motorhaube öffnete, traf mich der Schlag: Alles war verölt! Der Motor, die Haube von innen- alles! Entsetzt rief ich Herbert an, der mich für den zweiten Feiertag zu sich in die Werkstatt beorderte. Ich bangte und hoffte, daß es sich nur um eine Kleinigkeit handelte. Eine weitere Reparatur hätte mir gerade noch gefehlt!

Als Gabi und ich beim letzten Termin geplaudert hatten, stellten wir fest, daß ich ihren Freund kannte; er war damals mit bei den Busleuten gewesen, kam also aus einer ganz anderen Richtung als sie. Ich hatte mich immer gut mit ihm verstanden, und so lud mich Gabi ein, sie zu besuchen. Einen Tag vor Heiligabend fuhr ich also in die Berge. Jo wußte von meinem Problem mit dem undichten Dach und gab mir alles, was ich für die Erneuerung der Nähte auf dem Dach benötigte und leider nicht dabei hatte, angefangen von einer Leiter bis hin zu Reinigungsbenzin, Werkzeug und Dichtmittel. Eigentlich hatte ich nur einen Tag bleiben wollen, aber da die Dichtarbeit dermaßen umfangreich war, wurden es dann doch zwei Tage auf der Leiter- und der dritte auf Suche nach dem abhanden gekommenen Wwoofer. Den und auch Jason, einen ehemaligen Wwoofer, der sich bei ihnen gerade ein Haus baute, weil er bleiben wollte, hatte ich an meinem ersten Tag kennengelernt. Als er Heiligabend nicht beim Käsefondue dabei war, stellte Gabi fest, daß er inzwischen seit vierundzwanzig Stunden verschwunden war, und informierte die Polizei. Gregor war an meinem ersten Tag bei Gabi und Jo zu einem Spaziergang aufgebrochen und nicht mehr zurückgekehrt. Auf dem Telefon war er nicht erreichbar, allerdings tendierte der Empfang dort auch gegen Null beziehungsweise war überhaupt nicht vorhanden. Edda fand es toll, stundenlang mit mir bergauf und bergab zu laufen, aber ich selbst bin eher fußfaul. Die Gegend war wunderschön, aber ich wäre ja lieber geritten statt gelaufen...

Es war die Polizei, die Gregor schlußendlich ausfindig machte. Er befand sich am Strand zwanzig Kilometer weiter, wußte nicht, wie er dorthin gekommen war, erkannte niemanden und wollte sich sogar von den Klippen stürzen, so daß sie ihn mit Kabelbindern fesseln mußten, damit er keine Dummheiten machte. Allmählich fielen ihm mehr Dinge ein als nur sein Name, und dann kam heraus, was passiert war: Er war spazieren gegangen, wollte sich einen Trip geben und hatte Pilze gegessen. Leider hatte er sich in der Menge vertan. Daß er die erste Nacht im Wald verbracht hatte, daran konnte er sich noch erinnern, und auch, daß er am folgenden Morgen noch einmal Pilze gegessen hatte. Danach hatte er einen Blackout und sah ziemlich kläglich aus, als Gabi und Jo ihn abholten.

Herbert konnte nicht feststellen, woher das Öl gekommen war. Das Problem tauchte auch nicht noch einmal auf. Es wird wohl für immer ein Mysterium bleiben. Ich jedoch nutzte meinen Besuch in der Werkstatt noch für einen kurzen Abstecher zu Mattes.

Das Wetter war und blieb wechselhaft, und als ich noch einmal zu Gabi und Jo fuhr, um jedem von ihnen eine Healingmassage zu geben, blieb ich mit dem Bus fast im Matsch stecken. Ihr Zufahrtsweg konnte wirklich etwas Kies gebrauchen! 

Die nächsten Tage verbrachte ich an einem anderen Strand, beziehungsweise an einem Fluß, der in das Meer mündet. Lisa war superfit, obwohl sie inzwischen kein Antibiotikum mehr bekam, und ich stellte meine Entscheidung, sie operieren zu lassen, infrage. Vielleicht würde ja doch alles gut werden, ganz ohne dem Risiko einer Operation? Leider ging es mit Lisa nach wenigen Tagen wieder massiv bergab, mir war klar, daß eine OP tatsächlich die einzige Lösung war, aber mein Optimismus der letzten Tage verschwand, und ich begann ernsthaft daran zu zweifeln, daß sie die Operation überleben würde. Ich versuchte, die verbliebene Zeit mit ihr so gut wie möglich zu nutzen, aber da sie keine Energie hatte und schließlich auch noch das leckere Hühnchen verweigerte, waren uns Grenzen gesetzt. 

Es war der 1.Januar. Zwei Tage später sollte Lisa operiert werden. Sie wollte immer noch nicht fressen. Zwar steuerte sie immer wieder den Strand an und wollte ihn dann nicht mehr verlassen, hatte aber wenig bis keine Energie. Meine Unruhe wuchs. Und dann kam die große Welle.

Es hatte gestürmt, das Meer war sehr unruhig. Da Lisa aber so gern am Strand sein wollte, machte ich immer mal eine kurzen Ausflug mit ihr dorthin, während Edda im Bus auf uns wartete. Ich sah die Welle kommen, rief Lisa, die mich aber nur ansah- und dann mitgerissen wurde. Lisas Kampf mit der Welle werde ich nicht vergessen. Die Kleine war dermaßen entkräftet, daß sie Mühe hatte, sich an Land zu kämpfen, und ich stand schon mit den Beinen im Wasser, als sie sich endlich aus den Klauen des Meeres befreien konnte. Völlig fertig und ausgepumpt, naß und sandig, torkelte sie auf mich zu. Der Rückweg zum Bus dauerte ewig. Danach war es mit Lisas Energie vollkommen vorbei. In mir begann, Panik hochzukriechen. Wie sollte sie die OP jemals überstehen? Ich rief noch einmal Gabi an, die mir sagte, daß Lisa auf jeden Fall in den nächsten Wochen sterben würde, wenn wir sie nicht operieren würden. Nur eine Op könnte jetzt noch ihr Leben retten. Eine andere Chance hätte Lisa nicht.

Ich tat etwas, das ich sehr lange nicht mehr getan hatte: Ich forderte ihr Leben und ihre Gesundung bei meinen Göttern ein.  Danach ging es mir besser. Und noch an demselben Abend fraß Lisa etwas Hühnchen.

In der Nacht vor der Operation war Vollmond. Ich stand wieder vollkommen allein am Strand. Und so kramte ich meine Trommel hervor und trommelte.

In der Nacht schlief ich sehr schlecht. Der Kaffee am nächsten Morgen wollte nicht recht schmecken. Ein letzter Spaziergang mit Lisa und Edda am Meer. Dann wurde es ernst. Ich packte zusammen, schnallte meine beiden Monster fest, warf einen letzte Blick auf das Meer und fuhr los. Um elf Uhr sollten wir an der Praxis sein. Es war soweit. Lisas Operation stand an. Und die Prognose war mehr als nur schlecht. Denn selbst, falls sie die OP überleben würde, mußte sie am nächsten Tag anfangen, zu essen. Und damit rechnete niemand von uns so recht.

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Kommentare: 1
  • #1

    Lutz (Mittwoch, 31 Januar 2018 22:01)

    Oh Gott, hoffentlich schafft Lisa die OP und anschließende Genesung. Ich halte Euch beide Daumen. Ich hatte selbst auch über 16 Jahre einen treuen Freund, aber jetzt wird gehofft!!